Onlineveranstaltung - Eigenbedarfskündigung
Die Zahl der Eigenbedarfskündigungen und der damit einhergehenden Räumungsverfahren ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Dies berichten nicht nur die Mietervereine, sondern auch Anwält*innen und Richter*innen. Ein erhöhter Wohnbedarf für Eigentümer*innen ist dabei eine nur unzureichende Erklärung. Es liegt vielmehr die Vermutung nahe, dass eine Reihe von Vermietenden die Eigenbedarfskündigung nutzen, um die Wohnung teurer vermieten, leer verkaufen, einer anderweitigen Nutzung zuführen zu können oder unliebsame Mieter*innen loszuwerden. Denn: Die Eigenbedarfskündigung ist die einzig relevante Möglichkeit, den Mietvertrag gegenüber Mieter*innen zu kündigen, die sich im Mietverhältnis nichts haben zuschulden kommen lassen.
Vermieter*innen können das Wohnraummietverhältnis kündigen, wenn sie die von den Mieter*innen gemieteten Räume für sich oder ihre Angehörigen benötigen. Die Rechtsprechung hat den Kreis der „Bedarfszeugen“ immer weitergezogen, Nichten und Neffen und auch au pair (dies allerdings über die Generalklausel der Kündigungsvorschrift) können benannt werden. Auch hinsichtlich der Nutzungsart ist die Rechtsprechung großzügig, ausreichen soll die Nutzung der Wohnung als Zweitwohnsitz oder zu gelegentlichen Aufhalten zum Besuch in einer anderen Stadt, um langjährigen Mieter*innen zu kündigen. Eine Abwägung mit den Interessen der Mietenden findet im Rahmen der Eigenbedarfskündigung nicht statt, sondern diese werden erst im Rahmen der sogenannten Sozialklausel (§ 574 BGB) berücksichtigt. Hiernach kann eine Verlängerung des Mietverhältnisses nur dann verlangt werden, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für die Mietenden eine besondere Härte bedeuten würde. Die Härtegründe, in der Praxis vor allem psychische Krankheiten, haben die Mietenden zu beweisen. Viele Mieter*innen räumen kampflos das Feld oder wehren sich aus wirtschaftlichen oder persönlichen Gründen nicht gegen eine sich anschließende Räumungsklage.
Aber auch ein streitiges gerichtliches Verfahren weist in der Praxis große Schwierigkeiten für die Mietenden auf. Zwar müssen die Vermieter*innen vor Gericht beweisen, dass sie oder die Bedarfsperson in die Wohnung einziehen möchten. Da es hier um eine rein subjektive Tatsache geht, um einen Wunsch, um zukünftige Vorstellungen, ist es für die Mieter*innen schwer, den Nutzungswunsch zu entkräften. In der Regel wird den Zeug*innen der Vermietenden dann doch geglaubt. Damit die Mieter*innen nicht am Ende mit ganz leeren Händen dastehen, enden viele Prozesse mit Räumungsvergleichen. Gegen eine mehr oder weniger hohe Abfindung wird die Wohnung freigegeben. Sollten die Kündigenden oder ihre Bedarfspersonen nach Räumung der Wohnung nicht einziehen, ist es in der Regel äußerst schwer, einen Schadenersatzanspruch zu realisieren. Die Mietenden müssen beweisen, dass der Eigenbedarf nur vorgeschoben war. Sollte dies gelingen, gibt es in der Regel nur sehr geringen Schadensersatz, denn auch den ihnen entstandenen Schaden müssen die Mietenden nachweisen. Strafrechtliche Folgen haben betrügende Vermieter*innen selten zu befürchten.
Im Rahmen dieser Veranstaltung des Netzwerks Mieten und Wohnen haben wir einzelne Aspekte rund um die Eigenbedarfskündigung dargestellt und Reformmöglichkeiten diskutiert.
Zunächst stellte Rechtsanwalt Dr. Rainer Tietzsch die aktuellen Voraussetzungen einer Eigenbedarfskündigung dar und erörterte Fragen zum Bedarf und zum Kreis der Bedarfspersonen. Er präsentierte auch Reformmöglichkeiten. Es folgten Berichte aus der gerichtlichen Praxis:
Der Eigenbedarfsprozess, das gerichtliche Verfahren und die Beweisaufnahme um den Wohnbedarf wurden von Ri`in AG Paula Oberndorfer dargestellt. Fragen zur strafrechtlichen Beurteilung eines vorgetäuschten Eigenbedarfs in Theorie und Praxis beantwortete Richter Sven Kersten. Anschließend stellten Franziska Brachhäuser und Undine Christian, beide wissenschaftliche Mitarbeiterinnen an der FU – Berlin, die Ansprüche der Mietenden nach Räumung der Wohnung nach vorgetäuschten Eigenbedarf dar und widmeten sich der Frage, ob der Vermieter den Mehrerlös, den er mit einer Neuvermietung der geräumten Wohnung oder durch Verkauf behalten dürfe oder nicht. Schließlich stellte RA Benjamin Raabe Reformideen zur Stärkung der Rechte von Mieter*innen vor, die trotz „fehlgeschlagenem Eigenbedarfs“ ihre Wohnung verloren haben.
Die Veranstaltung wurde moderiert von Sylvia Sonnemann von Mieter helfen Mietern Hamburg, und RA Benjamin Raabe.